Konsumenten verlangen "ehrliche" Lebensmittel

Datum der Veröffentlichung: 
2. März 2010

Studie: Wunsch nach regionaler Herkunft ist bereits stärker als Wunsch nach„bio“

Tiertransporte, Pestizid-Gemüse, tödliche Bakterien im Käse – viele Verbraucher wollen die Zustände in der Lebensmittelindustrie sprichwörtlich nicht mehr schlucken. Ein starkes Netzwerk von „Essensrettern“ hält dagegen.

Fast hat man sich an die Horrormeldungen von der Essensfront schon gewöhnt: Gammelfleisch-Skandale in Deutschland, bei dem tonnenweise nicht mehr verzehrfähiges Fleisch umetikettiert wurde und in den Handel gelangte; umdatierter, verdorbener Fisch in einer auch in Salzburg vertretenen Großhandelskette; Rückholaktionen und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen eines mit Listerien verseuchten Quargels aus der Steiermark, an dessen Genuss sechs Menschen starben. Sie sind die Spitze eines Eisbergs. Zum industriellen Umgang mit Lebensmitteln gehören auch pestizid-belastetes Gemüse, Light- und Fitness-Produkte, die keine sind, mikroskopische Mengen an angeblich enthaltenen Rohstoffen, Massentierhaltung und Lebend-Tiertransporte. Das Unbehagen über diese Zustände wächst. Konsumenten wollen wieder „ehrliche“ und saubere Lebensmittel auf dem Teller haben. Lebensmittel, die in vielerlei Hinsicht von der Herkunft her nachvollziehbar und vertrauenswürdig sind. Wo Österreich draufsteht, muss auch Österreich drin sein!

Tiroler Speck aus dänischen Schweinen

Firma in Landeck benötigt jährlich 20 Mio. Kilo Schweinernes – Debatte macht nervös. Die Waffen der „Essensretter“ sind präzise Analyse, Aufklärung, Geschmacksschulungen, Saatguterhalt durch Bäuerinnen und Hausgärtnerinnen. Die Politik der Nadelstiche setzt der mächtigen Lebensmittel-Industrie durchaus zu. In den USA würden Würmer, die sich einem im Fischfilet entgegenstrecken, zu millionenschweren Gerichtsklagen führen. In Graz erhielt der Kunde, der vorige Woche in einem bekannten Supermarkt mehrere Seeteufel-Filets kaufte und beim Aufschneiden der Fischstücke besagte Parasiten entdeckte, den Kaufpreis zurück und einige Kaffee-Gutscheine dazu. Durch Nematoden (Fadenwürmer) bestehe kein Gesundheitsrisiko, beruhigte die Konzernsprecherin.

Die Konkurrenzgruppe rief in derselben Zeit etliche Fertigmenü-Produkte zurück, da sich in den Waren Hartplastikteile befinden könnten, woran ein Lieferant schuld sei, so eine Aussendung des Unternehmens. Wie tief sitzt der Wurm eigentlich schon in der industriellen Lebensmittelproduktion? Faktum ist, dass eine steigende Zahl von Menschen sich einen anderen Umgang mit Lebensmitteln wünscht.

Der Wunsch: „Landwirtschaft wie früher“

Franz Floss, Geschäftsführer des Vereins für Konsumenteninformation, will mit noch mehr „Lebensmittelchecks“ die Mogeltricks der Branche aufdecken. Der Trend sei laut einer neueren Studie ganz klar: „Wenn man alle Konsumenten fragt, was ihnen am wichtigsten ist, die Herkunft der Rohstoffe, die Qualität, die Verarbeitung, stand vor zwei, drei Jahren der Wunsch nach Bio-Produktion an dritter Stelle. Jetzt ist es die Herkunft aus einer bestimmten Region, das ist eindeutig der Wunsch“, so Floss. Das Motivforschungsinstitut Karmasin ermittelte im Auftrag der Agrarmarkt Austria Marketing Gmbh (AMA) die „Idealvorstellung bei Lebensmitteln“: Sie wäre eine „Einschränkung der Massenproduktion, die Achtung vor saisonalen Produkten“, eben „eine Landwirtschaft, wie es sie früher gab: klein, nah, regional, ohne Schäden für Umwelt und Tiere, ohne ‚industrielle Kontaminierung’“.

Denn tatsächlich werden Konsumenten auf der Suche nach österreichischen Produkten ganz schön in die Irre geführt, kritisiert Floss. Nicht nur, weil der Markt inzwischen 150 Gütesiegel und „Garantien“ bietet, die oft nur einen lobenden Charakter hätten, so Floss. Auch der Ländercode („AT“ für Austria) besagt nur, dass der letzte Verarbeitungsschritt oder die Verpackung in diesem Land erfolgte, nichts aber über die Herkunft der Rohstoffe. Für den als „steirisches Produkt“ verkauften mit Listerien verseuchten Quargel wurde Milch aus Deutschland und Holland verwendet.

Konsumentenschützer Floss: „Wenn 50 Prozent der Wertschöpfung in Österreich erfolgen, ist es nach geltender Auffassung nicht irreführend, das als österreichisches Produkt zu verkaufen.“ Ganz sicher gehe man mit den AMA-Siegeln, so Floss.

20 Mio. Kilo Schweinernes für „Handl“

Bei der Firma „Handl Tyrol Speck“ in Pians bei Landeck kann man „diese Diskussion schon nicht mehr hören“, wie Geschäftsführer Josef Wechner zum SF sagt. „Die Käse-Geschichte hat uns das eingebrockt“. Man möge seine Gereiztheit entschuldigen, meint der Tiroler dann. Aber das mehrfach ausgezeichnete Familienunternehmen exportiere jährlich 50 Millionen Packungen „Tiroler Speck“ in alle Welt, sichere „550 Ganzjahresarbeitsplätze in einer Notstandsregion“ – „und wir denken sehr wohl über diese Dinge nach“, so Wechner. Die Firma arbeite an einer strategischen Neuausrichtung, die diffizil sei, da man mit der Marke eben tatsächlich tirolerische Esskultur verbinde („Wir bringen ein Stück Tirol zu Ihnen nach Hause“, www.handltyrol.at). Handl bezieht jährlich 20 Millionen Kilo Schweinernes in Form von zugeschnittenen Teilen: „Wir arbeiten nicht mit Lebendtransporten, wir kaufen Bäuche, Schinken, Karree in Österreich, Deutschland, Dänemark und nicht in Holland, Belgien oder Rumänien. Wir haben eine strenge Qualitätskontrolle. Wir wissen, wo das Fleisch herkommt, bis zum Bauern zurück. Wir kontrollieren die Lieferanten, wir auditieren die Schlachthöfe, wir sind als Qualitätsfanatiker verschrien. Wir machen ja Lebensmittel, nicht irgendetwas!“ meint Wechner emotional. Die Reaktion des Tiroler Unternehmens zeigt auch die Art der Auseinandersetzung: Die „Nadelstiche“ der Kritiker wirken.

Die EU und Knoblauch aus China

Das Dilemma ist eine Folge der in der EU betriebenen Lobby-Politik. Der gewünschte und geförderte freie Warenverkehr ermöglicht alle erdenklichen Produktionsketten: bayerische Kartoffel, die zum Waschen nach Italien gefahren werden, Münchner Weißwürste, bei denen das Fleisch aus Ungarn und Polen kommt, die Haut aus China, die Gewürze aus Afrika; österreichischer Speck aus Schweinen, die in Bulgarien gezüchtet, in Holland geschlachtet und in Österreich geräuchert und verpackt werden (gemeint ist nicht Handl!). Lediglich Rindfleisch muss seit 2002 infolge der BSE-Seuche besonders gekennzeichnet sein (Geburt, Mästung, Schlachtung), Eier müssen einen Erzeuger-Code haben: die erste Ziffer steht für das Haltungssystem (0 ist Freilandhaltung, 3 Käfighaltung). Auch bei frischem Obst und Gemüse muss das wirkliche Herkunftsland angegeben werden – weshalb man weiß, dass Knoblauch neuerdings aus China und Schnittlauch aus Indien importiert wird. Es brauche immer einen Skandal, ehe die politisch Verantwortlichen mit spürbaren Gesetzesverbesserungen reagieren, meint VKI-Chef Franz Floss.

Immenser Widerstand der Konzerne

Auf präzise und professionelle Weise versucht die deutsche Verbraucherrechts-Organisation „foodwatch“ die Lebensmittel- und Agrarkonzerne zu mehr Ehrlichkeit und Nachhaltigkeit zu bewegen (www.foodwatch.de). Der vom Ex- Greenpeace-Manager Thilo Bode gegründete Verein in Berlin hat regen Zulauf, 16.000 Mitglieder (ab 60 Euro Beitrag im Jahr) und potente Stiftungsförderer finanzieren Projekte und das schlanke, achtköpfige Team. Staatliche Subventionen lehnt man bewusst ab, um unabhängig zu bleiben. Foodwatch fordert die Einführung einer „Ampel-Kennzeichnung“ als Basisinformation für Lebensmittel, die den Gehalt von Zucker, Fett, gesättigten Fettsäuren und Salz leicht erkennbar angibt (nach dem Muster „grün – gelb – rot“). In der EU soll noch heuer eine Entscheidung darüber fallen, erklärt Foodwatch-Sprecher Martin Rücker dem SF. Bislang hätten nur der deutsche Tiefkühlkosthersteller „Froster“ und einige Supermarktketten in Spanien, Portugal, Frankreich und Großbritannien diese transparente Kennzeichnung. „Die Konzerne wollen das nicht, weil sie dann ein Produkt, das zu einem Drittel aus Zucker besteht, wie Nestles „fitness fruits“, nicht mehr als Fitnessprodukt verkaufen können“, so Rücker. Auch mit der Kampagne „abgespeist“ (www.abgespeist.de) legt man sich massiv mit der Lebensmittelindustrie an. „Da nennen wir Namen, da gibt es einen großen Widerstand“, so Rücker. Der Einfluss der milliardenschweren Branche auf die Politik sei immens, Europa-Politiker klagten in öffentlichen Sitzungen über den starken Lobbydruck. „Es fehlt eine Organisation, die auf Augenhöhe mit dieser Industrie kommunizieren kann“, meint der Foodwatch-Sprecher. Neu sei freilich, dass die Thematik öffentlich diskutiert werde und die Industrie sich rechtfertigen müsse.

Essen als Gemeingut und Wert

Auch in Österreich wächst das Netzwerk von „Essensrettern“ – Bewegungen wie die „Arche Noah“ bemühen sich um Sortenvielfalt und regionale Produktion (www.arche-noah.at mit Sortenhandbuch, Pflanzenversand für seltene Gemüse). Die Bäuerinnen und Hausgärtnerinnen, die Saatgut vermehren, seien das Zeichen, dass „Saatgut Gemeingut ist und nicht Patentrecht von großen Saatgutkonzernen“, wie Arche-Sprecherin Marion Schwarz sagt (Ende März findet in Graz das fünfte europäische Treffen der Saatgut-Initiativen statt: www.liberate-diversity-graz2010.org). Initiativen wie „Slow Food“ und „Terra Madre“ des Italieners Carlo Petrini arbeiten in kleinen und großen Publikumsveranstaltungen gegen die geschmackliche Verflachung und den generellen Verfall der Ess- und Trinkkultur. Die Moderatorin, Journalistin und Frauentrainerin Barbara van Melle, Obfrau von Slowfood Wien (www.slowfoodaustria.at) beklagt die völlig aus dem Lot geratene Wertigkeit: „Wir schmeißen tonnenweise Lebensmittel weg, wir essen im Gehen und Stehen, die Kinder bekommen Fastfood und werden immer dicker, andererseits geben Menschen unglaublich viel Geld aus, um nichts zu essen. Wir zahlen für einen Liter Motoröl 25 Euro, aber nur 2,50 Euro für zwei Liter Sonnenblumenöl“, so van Melle. Der Griff ins Regal sei ein politischer Akt. „Lebensmittel sollen gut, sauber und fair sein. Sie sollen herausragend schmecken, ökologisch produziert sein und den Produzenten einen gerechten Preis bringen. So gesehen, kann man vieles nicht mehr kaufen“, meint die Slowfood-Aktivistin und Mutter zum SF.