Verhütung künftiger Verstöße gegen das Lebensmittelrecht
Eine lebensmittelrechtliche Anordnung zur Verhütung künftiger Verstöße gegen das Verbot des Inverkehrbringens nicht sicherer Lebensmittel (Art. 14 Abs. 1 Abs. 1 VO (EG) Nr. 178/2002) setzt nicht notwendig voraus, dass im Rahmen der amtlichen Lebensmittelüberwachung bereits entsprechende Verstöße festgestellt worden sind. Ausreichend ist vielmehr, dass es ohne die Kontrolle voraussichtlich zu einem Inverkehrbringen gekommen wäre.
§ 39 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 LFGB stellt für derartige Anordnungen die zutreffende Rechtsgrundlage dar. Nach Absatz 2 Satz 1 dieser Bestimmung treffen die zuständigen Behörden die notwendigen Anordnungen und Maßnahmen, die zur Feststellung oder zur Ausräumung eines hinreichenden Verdachts eines Verstoßes oder zur Beseitigung festgestellter Verstöße oder zur Verhütung künftiger Verstöße sowie zum Schutz vor Gefahren für die Gesundheit oder vor Täuschung erforderlich sind. Nach Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 der Regelung können sie insbesondere das Herstellen, Behandeln oder das Inverkehrbringen von Erzeugnissen verbieten oder beschränken. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin werden im Hauptsacheverfahren voraussichtlich sowohl die Notwendigkeit der getroffenen Anordnungen zur Verhütung künftiger Verstöße gegen Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchstabe b) i.V.m. Abs. 5 VO (EG) Nr. 178/2002 in Gestalt eines Inverkehrbringens von für den menschlichen Verzehr ungeeigneten Lebensmitteln als auch gegen die Vorschriften für den Umgang mit Lebensmittelabfällen in Anhang II Kapitel 6 VO (EG) Nr. 852/2004 durch die angeordneten Maßnahmen zu bejahen sein.
Soweit die Antragstellerin geltend macht, dass das bloße Aufbewahren und Auffinden von verzehrsungeeignetem Fleisch in ihrem Betrieb nicht von vornherein ein Inverkehrbringen von nicht sicheren Lebensmitteln i. S. v. Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchstabe b) VO (EG) Nr. 178/2002 darstellt, wird ihr indessen voraussichtlich zuzustimmen sein. Ein “Inverkehrbringen” ist nach der Legaldefinition in § 3 Nr. 1 LFGB und Art. 3 Nr. 8 VO (EG) Nr. 178/2002 das von einem bloßen “Lagern” (vgl. § 3 Nr. 3 LFGB) begrifflich zu unterscheidende Bereithalten von Lebensmitteln oder Futtermitteln für Verkaufszwecke einschließlich des Anbietens zum Verkauf oder jeder anderen Form der Weitergabe, gleichgültig, ob unentgeltlich oder nicht, sowie der Verkauf, der Vertrieb oder andere Formen der Weitergabe selbst. Von einem “Bereithalten für Verkaufszwecke” wird erst ausgegangen werden können, wenn sich die Ware nach abgeschlossenem Herstellungsprozess im verkaufsfertigen Zustand befindet und die betriebliche Warenausgangskontrolle durchlaufen hat1. Im Gegensatz zum Antragsgegner, der offenbar das bloße Auffinden von verdorbenem Fleisch im Lebensmittelbereich (“Weißbereich”) bereits mit einem Bereithalten zum Verkauf gleichsetzt, ist das Verwaltungsgericht von der genannten Definition des Inverkehrbringens ausdrücklich ausgegangen und hat dann darauf abgestellt, dass Überwiegendes dafür spricht, dass vorbehaltlich einer weiteren Aufklärung im Eilverfahren zumindest teilweise von einem verkaufsfertigen Zustand der beanstandeten Waren auszugehen war. Dabei hat das Verwaltungsgericht auch nicht etwa – wie die Antragstellerin meint – widersprüchlich argumentiert. Aus dem Umstand, dass sich das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die Frage des Inverkehrbringens in tatsächlicher Hinsicht nicht eindeutig festgelegt hat, folgt eine solche Widersprüchlichkeit gerade nicht. Es entspricht vielmehr der Natur des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens, dass abschließende Tatsachenfeststellungen nicht möglich sind. Dies betrifft erkennbar die vom Verwaltungsgericht offen gelassene Frage, ob und in welchem Umfang bei dem beanstandeten Fleisch bereits ein verkaufs- bzw. weitergabefertiger Zustand und deshalb ein Inverkehrbringen zu bejahen war.
Letztlich kommt es aber auf die Feststellung von bereits erfolgten Verstößen für die Frage der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides gar nicht entscheidend an. Eine lebensmittelrechtliche Anordnung zur Verhütung künftiger Verstöße gegen das Verbot des Inverkehrbringens nicht sicherer Lebensmittel setzt nicht notwendig voraus, dass im Rahmen der amtlichen Lebensmittelüberwachung bereits entsprechende Verstöße festgestellt worden sind. Ausreichend ist vielmehr, dass es ohne die Kontrolle voraussichtlich zu einem Inverkehrbringen gekommen wäre. Gegenüber der Rechtslage vor Inkrafttreten des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches handelt es sich bei der Eingriffsbefugnis zur Verhütung künftiger Verstöße um einen neuen Tatbestand, nach dem die zuständigen Behörden verpflichtet sind, vorbeugenden Maßnahmen einen höheren Stellenwert beizumessen2. Die Verhütung von erst in der Zukunft zu befürchtenden Verstößen hat den ausdrücklich in der Ermächtigungsgrundlage verankerten Handlungsrahmen über die Beseitigung der Folgen bereits festgestellter Verstöße hinaus deutlich erweitert; die “Eingriffsschwelle” des § 39 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 LFGB ist ersichtlich nicht erst dann überschritten, wenn es bereits beweisbar zu einem Inverkehrbringen nicht sicherer Lebensmittel gekommen ist, sondern schon dann, wenn ein solches Inverkehrbringen verhindert werden soll. Die selbstverständlich weiterhin gebotene Prüfung zur Feststellung von bereits erfolgten Verstößen stellt demnach keine zwingende Beschränkung für den behördlichen Handlungsrahmen (mehr) dar.
Die Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 LFGB sind auch für die Verhütung künftiger Verstöße gegen die Vorschriften für den Umgang mit Lebensmittelabfällen in Anhang II Kapitel 6 der VO (EG) Nr. 852/2004 zu bejahen. Im Hinblick auf eine einzelne Fleischcharge kann es für den “Eigenschaftswechsel” von einem verzehrsunfähigem Lebensmittel i.S.v. Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchstabe b) VO (EG) Nr. 178/2002 zu Material der Kategorie 3 i.S.v. Art. 6 Abs. 1 Buchstabe f) VO (EG) 1774/2002 dann nicht auf einen gesonderten einzelnen Bestimmungsaktes des Lebensmittelunternehmers ankommen, wenn dieser Bestimmungsakt der Fleischcharge zu Unrecht vorenthalten wird, sie also nach wie vor als Lebensmittel und nicht als Lebensmittelabfall behandelt wird. Käme es stets allein auf den subjektiven Bestimmungsakt des Unternehmers an, läge es in seiner Hand, die Vorschriften für den Umgang mit Lebensmittelabfällen unangewendet zu lassen, auch wenn die Anwendung dieser Vorschriften offenkundig objektiv geboten ist. Dies spricht dafür, dass der in Art. 6 Abs. 1 Buchstabe f) VO (EG) 1774/2002 vorgesehene Bestimmungsakt jedenfalls im Rahmen der amtlichen Kontrollen durch eine dabei erfolgende Feststellung der Verzehrsunfähigkeit ersetzt werden kann. Zuzugestehen ist der Antragstellerin indessen, dass ihr nicht im Hinblick auf ein und dieselbe Fleischcharge das unzulässige Inverkehrbringen eines nicht sicheren Lebensmittels und Fehler bei der Behandlung als Lebensmittelabfall vorgeworfen werden können. Dies stellt allerdings lediglich eine Unstimmigkeit in der Begründung der angegriffenen Verfügung dar; für die Frage der Rechtmäßigkeit der Anordnungen unter Nr. 1 und 2 der angegriffenen Verfügung kommt es darauf nicht an. Von der Antragstellerin wird nämlich nicht etwa verlangt, ein und dieselbe Fleischcharge nach den für Lebensmittel und gleichzeitig den für Lebensmittelabfällen geltenden Vorschriften zu behandeln. Vielmehr geht es um die Verhinderung künftiger Verstöße bei der gebotenen innerbetrieblichen Trennung zwischen Waren- und Abfallströmen, die über die vom Antragsgegner herangezogene Rechtsgrundlage verwirklicht werden kann. Dass die Bestimmungen zum Umgang mit ehemaligen Lebensmitteln – wie die Antragstellerin meint – außerhalb des Anwendungsbereichs des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches liegen sollen, wenn es – wie hier – gerade um die Verhinderung der Vermischung von Lebensmittelabfällen und Lebensmitteln geht, überzeugt nach Auffassung des Senats nicht. Die Vorgaben zum Umgang mit Material der Kategorie 3 stellen in einer solchen Situation gerade das Spiegelbild zum Umgang mit den Schlachtkörperteilen, die zu einem Lebensmittel verarbeitet werden sollen, dar. Abgesehen davon dürfte sich die Anordnung unter Nr. 1 der angegriffenen Verfügung selbst unter Zugrundelegung der Auffassung, dass die Anwendung des § 39 LFGB für Material der Kategorie 3 i.S.v. Art. 6 Abs. 1 Buchstabe f) VO (EG) 1774/2002 auch bei einer beabsichtigten Verhinderung der Vermischung von Lebensmittelabfällen und Lebensmitteln ausgeschlossen ist, jedenfalls auf die Bestimmung des § 12 Abs. 2 TierNebG stützen lassen, für deren Anwendung der Antragsgegner nach § 4 Satz 1 Nds. AG TierNebG ebenfalls zuständig ist.
Das Oberverwaltungsgericht hält die Anordnungen zur Verhütung zukünftiger Verstöße auch für erforderlich i.S.d. § 39 Abs. 2 Satz 1 LFGB. Die vom Antragsgegner über einen längeren Zeitraum festgestellten Unregelmäßigkeiten haben ihre Ursache jedenfalls zu einem Großteil in der nach den bisherigen betrieblichen Abläufen nicht hinreichend gewährleisteten Trennung von Waren- und Abfallströmen. Aus den jeweils bei aufgefundenem verdorbenen Fleisch verfügten Einzelmaßnahmen wie Sicherstellung, Beprobung und Entsorgung wurden seitens der Antragstellerin innerbetrieblich offenbar auch keine ausreichenden Konsequenzen für die Zukunft gezogen, so dass sich der Antragsgegner zu einem Eingriff in die innerbetrieblichen Abläufe entschlossen hat. Dass für die geforderte unmittelbare Überprüfung ein zusätzlicher Personaleinsatz erforderlich ist, vermag eine Unverhältnismäßigkeit nicht zu begründen.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 10. Mai 2010 – 13 ME 181/09
vgl. Zipfel/Rathke: Lebensmittelrecht, Loseblatt, Stand: November 2009, Band II, C 101, Art. 3 Rdnr. 43↩
vgl. dazu: Zipfel/Rathke, a.a.O., Band II, C 102, § 39 Rdnr. 22↩